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Motto: Rauheit hat mich oft gereut, Milde niemals; ein gutes Wort, ein freundlicher Blick erzwingt Gehorsam und Liebe. Rudolf von Habsburg
Der Drill als Talisman.
Der Erfolg im Kriege ist kein Spiel des Zufalles, sondern der nothwendige Sieg des Stärkeren über den Schwächeren. Der Stärkere ist — von allen culturellen und politischen Momenten abgesehen — stärker durch bessere Heeres-Verfassung, bessere Bewaffnung, bessere Führung, endlich durch den höheren militärischen Werth der Kämpfenden. Für die ersteren Factoren sorgen die verschiedenen Kriegsverwaltungen nach Massgabe der finanziellen Leistungsfähigkeit der betreffenden Staaten und der Opferwilligkeit ihrer Bürger. Die Führung, d. h. die höhere, entscheidende Führung ist einigen wenigen Männern überantwortet. Der grössere oder geringere Werth des Soldaten aber liegt in unserer Hand, denn er ist grösstentheils unser Werk, das Product unserer Arbeit.
Bei dem furchtbaren, auf die Moral des Menschen geradezu vernichtend wirkenden Eindrücke des heutigen Kampfes mit seinen, nach Zeit und Raum gleich intensiven Gefahren, und der erschwerten persönlichen Einflussnahme der Führer auf die Truppe, ist der Widerspruch zwischen dem animalischen Selbsterhaltungstriebe und der Pflichterfüllung schwerer denn je zu Gunsten der letzteren zu lösen — in dem Siege über den Selbsterhaltungstrieb liegt aber der Werth des Soldaten, seine Brauchbarkeit als Werkzeug eines höheren Willens.
Wer denkt da nicht an die Worte, womit der erzürnte Friedrich II. bei Kolin seine wankenden Grenadiere anfuhr: „Rackers! Wollt Ihr denn ewig leben?“
Es ist begreiflich, dass angesichts der Denkmale, welche sich der Tod bei St. Privat und bei Plevna gesetzt hat, man in allen Armeen nach Mitteln gesonnen hat, die schädlichen Einwirkungen
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Parade-Strammheit zu treiben, d. h. es verträgt es nicht und es wird darüber minderwerthig.
Eines und dasselbe passt nicht für Alle; „Vernunft wird Unsinn, Wohlthat Plage“. Ist es doch eine der schwierigsten Pflichten für Functionäre des Staates, sowie für militärische Vorgesetzte, die Eigenart der ihrer Führung anvertrauten Elemente zu verstehen und mit richtiger Einsicht zu verwerthen. Aus dieser Eigenart heraus muss die Behandlung, die Erziehung des Soldaten, die Gattung und die Summe jener Einwirkungen gefolgert werden, durch welche man seine kriegerische Brauchbarkeit zu steigern hofft.
In den Dingen, wo es die höchsten Menschengüter gilt, darf man nicht einen fremden Menschen anthun; man muss genommen werden, wie man ist, sowie man sich ja auch gibt, wie man ist. Mit der Octroyirung erborgter Formen, mit der Nachäfferei nachbarlicher Eigenthümlichkeiten ist nicht gedient; es würde damit nur bewiesen, dass man sich selbst für wenig werth hält.
Es liegt mit in unserem Wesen — und das ist eine ererbte Schwäche — dass wir alles Fremde vorbehaltlos höher schätzen, als uns selbst, ganz besonders, wenn es, gleichviel aus welchem Grunde, den Erfolg für sich hatte. Man wird sich ja erinnern, dass nach dem Feldzuge 1859 die Nachbildung der Franzosen an der Tagesordnung stand; eine Nachbildung, die sich sogar in Aeusserlichkeiten des Uniform-Schnittes und dergleichen documentirte. Die missverstandene Imitation unserer damaligen Besieger, ihres Elans und ihrer Offensive war die verhängnissvolle Stoss-Tactik, welche 1866 so blutige Opfer kostete und vielleicht mehr als alle strategischen Missgriffe den unglücklichen Ausgang des Feldzuges zur Folge hatte. Jetzt sind wir im Begriffe unter dem Eindrücke ihrer Erfolge unsere preussischen Meister nachzuahmen und in der Fratze ihrer strammen Drillung den Talisman des Er-folgeszu suchen. Liegt es nicht nahe, zu besorgen, dass die mit gleicher Uebertreibung und ausser Zusammen-hang mit anderen Factoren applicirte neue Methode zu einer ebenso folgenschweren Irrlehre werde, als wie jene den Franzosen nachgebildete Stoss-Tactik?
Deutsche Erfolge.
Preussen hat doch im Feldzuge 1870 und 1871, dem bedeutendsten des Jahrhundertes, mit dieser Methode gesiegt, und Frankreich, dessen Armee locker war, ist geschlagen worden — so sagt man — dagegen lasse sich doch nichts einwenden.
Der stramme Drill, vom preussischen Wesen ohne Schaden vertragen, wurzelt in den seit dem vorigen Jahrhunderte bestehenden Traditionen der preussischen Armee, an welchen man umsoweniger rüttelt, als der oberste Kriegsherr mit gerechtfertigter Pietät daran festhält.
Zudem werden in Preussen viele Dinge gesehen, welche die Leichtgläubigkeit für die Haupt-Ingredienzien der preussischen Kriegstüchtigkeit acceptirt.
Man übersehe aber nicht, dass überhaupt in allen Schulen und bei der Erziehung des Soldaten auf das Denkvermögen und die Entschlussfähigkeit hingewirkt wird; dass während der Sechziger-Jahre, um welche Zeit die preussische Armee die unmittelbare Vorschule zu ihrem Siegeslaufe durchmachte, die Waldersee’sche Methode massgebend war, deren Tendenz in der Weckung des Urtheiles und in der feldmässigen Ausbildung lag; dass der applicatorische Vorgang noch heutigen Tages seine unverkennbaren Früchte trägt; dass auf das Schiesswesen und seine tactische Verwerthung, auf die Arbeit im Terrain schon im Herbste und Winter mit ebenso grossem Verständ-niss als Erfolg gehalten wird. Militärische Stimmen äussern sich unverholen dahin, dass der übermässige Drill und der Cultus der Formen einmal entfallen werde.
Nicht der, wie manche andere Aeusserliclikeit, überkommene Drill hat die Deutschen von Sieg zu Sieg geführt, wohl aber die nationale Begeisterung, von welcher der ganze Krieg getragen war; die vorzügliche, im Volke eingelebte Wehrverfassung; die eiserne Willenskraft, welche alle Glieder der Armee belebte; der Zug nach vorwärts, der in den Gewaltmärschen und in den Gefechten lag; die Anziehungskraft, welche der Kanonendonner auf alle Commandanten, ob hoch oder nieder, ausübte und sie veranlasste, auch ohne Befehle, ohne Scheu vor Verantwortung, ihre Colonnen anzusetzen. Der französische Soldat hat seine Schuldigkeit gethan; die erschreckenden Massengräber der Deutschen sind stumme, aber doch beredte Zeugen von der Tapferkeit und der Hingebung ihres Gegners. Nicht darin, dass die Franzosen nicht gelernt hatten, die Füsse bei der Defilirung zu werfen, oder die Wachparade mit preussischer Strammheit abzuhalten, lag der Grund ihrer Niederlage; die schlechte Organisation, die Nichtausnützung der nationalen Kräfte, die Mobilisirung an der Grenze, die Planlosigkeit der Führung, die Betreibung des Krieges nach dem Zusammenbruche des Kaiserreiches durch Dilettanten u. s. w. waren die Ursache des Misserfolges.
Der Gehorsam des Intellectes, die Botmässigkeit des Willens sind wohl unerlässlich, und zwar noch weit mehr bei den höheren Stellen, als wie beim gemeinen Manne; man darf sagen, dass die Nothwendigkeit einer zuverlässigen Disciplin im quadratischen Verhältnisse zur Grösse des Wirkungskreises, zum Maasse der Verantwortlichkeit, zur Gefährlichkeit des Ungehorsames wächst.
Wenn die Leitung das Eintreffen einer Colonne zu dieser oder jener Zeit, an diesem oder jenem Puncte verfügt, der Unter-Com-mandant jedoch seine Ansicht für besser hält und sich über den erhaltenen Befehl hinwegsetzt, oder findet, dass etwa die seiner Truppe imputirte Marschleistung eine übermässige ist, oder aber glaubt, dass die voraussichtliche Gegenwirkung des Feindes ihn der Befolgung der erhaltenen Weisungen enthebt, gleichwie wenn persönliche Ehrsucht, welche die Interessen des Ganzen hinter die individuellen stellt, zu unbesonnenen Versuchen verleitet — dann ist ein Calcül unmöglich, der Misserfolg wahrscheinlich. Diese Art Disciplin mag bei den Franzosen zum Theile gefehlt haben. Sie wird auch bei uns noch zu wenig gefordert, zu wenig gehandhabt, Vergehungen gegen dieselbe werden nicht immer genügend geahndet. Diese Disciplin ist aber nicht mit der strammen Drillung der Truppe zu identificiren und auch nicht auf dem Wege derselben zu erzielen.
Die Zwangsjacke hat noch keinen Irrsinnigen geheilt; durch den Körper kann man nicht die Seele discipliniren. Nicht von aussen nach innen kann man wirken, sondern mau muss umgekehrt von innen nach aussen gehen. Es nützt nichts, wenn von einem Baume nur die äusseren Jahresringe schön und regelrecht beschaffen sind; trotz des täuschenden Kleides wird er absterben, vermorschen und der erste Sturm kann ihn zusammenbrechen machen, wenn nicht sein Mark gesund ist. Innerlich muss er schön aussehen, innen braucht man die Festigkeit und die Strammheit; auf den Schlag eines opfermuthigen Herzens in treuer Mannesbrust und nicht auf jenen der Füsse, auf die Tenne eines Exercirplatzes kommt es an.
Wie wenig der äusserliche Drill wahre Disciplin mit sich bringt, geht daraus hervor, dass bei Regimentern, die in der Exercirplatz-Strammheit excelliren, nicht immer die beste Mannszucht anzutreffen ist, während gerade jene Regimenter, welche von altersher die Träger des Ruhmes und der Ehre der Armee waren, Regimenter, an die sich alle jene Traditionen knüpfen, welche das Herz des Soldaten und Patrioten höher schlagen machen, auf dem Paradeplatze mitunter weniger Beifall fanden. Bei den Türken, die auf dem Exercirplatze absolut locker sind, ohne Schritt und Tritt, in schlechter Haltung, ohne scharfes Commando daherkommen, ist die unbedingteste Submission gegen den Vorgesetzten selbstverständlich. Der zu Napoleon’s Zeiten schon bestandene preussische Drill hat den damals kaum anders als wie 64 Jahre später gearteten Franzosen unter Führung des grossen Corsen nicht Stand zu halten vermocht.
Die wahren Ursachen der deutschen Erfolge 1870 und 1871 werden uns aber bestimmen, zwar nicht den preussischen Drill, wohl aber preussisches Pflichtgefühl, preussische Willenskraft, preussische Ausdauer zum Vorbilde zu nehmen.
Geist und Form.
Der alte Streit darüber, ob der Geist oder die Form Hauptsache sei, wird so lange bestehen, als es Menschen gibt; nur für denjenigen ist die Streitfrage überwunden, der Beides für notwendig hält.
Ein ganzer Mensch ist eben nur Derjenige, wo Seele und Leib, also Geist und Form vereinigt sind. Der Leib ohne Seele, die Form allein, ist eine Leiche, die Seele ohne Leib ein Object des Glaubens, aber nicht der Wissenschaft. So sehr der gesunde Leib die Seele unterstützt, so nützlich die zweckmässige Form dem Geiste ist, ebenso schädlich kann sie ihm werden, wenn sie eben nicht zweckmässig, wenn sie nicht der Ausdruck des Geistes, diesem vielmehr unter Beeinträchtigung seiner Function aufgezwungen ist. Man kann die Form mit einem Kleide vergleichen, welches der innen befindlichen Gestalt zu einer gewissen Haltung verhilft, ohne ihre freie Bewegung zu hemmen. Ist aber das Kleid nach Maass und Schnitt nicht passend angefertigt, so beklemmt es seinen Inhaber, schnürt ihn ein oder stört ihn sonst in seiner Thätigkeit. Mit einem Wort: Geist und Form sind beide wichtig, die Form aber muss dem Geiste dienen; ohne oder gar gegen den Geist ist sie nicht nur werthlos, sondern schädlich. Und dennoch sollte das Um und Auf der militärischen Schule die Drillung der Form? — einer unzweckmässigen Form sein!?
Man möge nur von gewisser Seite über die „Ritter vom Geiste“ spötteln, sich darin gefallen, nur die angeblich durch strammen Drill Bbrvorzubringende stramme Disciplin als einzigen Behelf für eine erfolgreiche Truppenführung zu preisen, mit Verachtung über alle anderen Factoren hinweggehen, welche den Menschen richtig erkennen und pflichttreu wollen machen. Man möge stolz sagen: „Was, Begeisterung, Patriotismus, Anhänglichkeit? Nur ein Bausch! Ich brauche nichts als den unbedingten Gehorsam und diesen erreiche ich durch strammes Exerciren.“
Es liegt aber ein doppelter Irrthum darin, denn erstens der Gehorsam allein genügt nicht, und zweitens, er wird auch nicht durch blosse körperliche Drillung erreicht.
Wenn einmal ermüdende Märsche, ruhelose Biwaks, beschwerliche Wege in Berg und Wald die Exercirplatz - Strammheit aus dem schwer bepackten halberschöpften Manne herausgebracht haben; das tückische Blei — man weiss nicht von wem und für wen — durch die Luft schwirrt, wenn es da heisst, auf der Stelle ausharren im feindlichen Feuer, auch wenn Flanke und Rücken bedroht sind, oder an eine todspeiende Linie anstürmen; — da genügt nicht die Disciplin, da genügt nicht die Furcht, denn die feindliche Kugel wird doch noch mehr gefürchtet als die Drohung des Commandanten. Da wird Mancher, der seine Truppe durch stramme Disciplinirung allein ganz „in der Hand“ zu haben glaubte, auf eine überzeugende Weise seinen Irrthum gewahr werden, und die Ohnmacht jener Mittel erfahren, welche ihm an und für sich erfolgverheissend schienen.
Opfermuth, möge er in passiver oder activer Form auftreten, ist immer nur das Product höherer, edler Gewalten, die uns beherrschen. „Es ist kein Normalzustand des Seelenlebens“ — schreibt ein preussischer Autor — „Fanatischer Wille und ethischer Wille erreichen dasselbe Ziel. Jener ist Entmenschlichung, dieser: Menschengrösse. Ersteren können wicjn einem civilisirten Heere nicht gebrauchen, aus Gründen der endlosen Gefahren, welche er für die Kriegszucht in sich trägt. Dieser das Endziel jedes Heerwesens, jeder Tactik.“ Derselbe Autor klagt auch, man betrachte den Mann „wie einen Theil eines trefflichen Mechanismus, von dem wir uns einbilden, dass er auch so sicher wie dieser wirke, während man doch mit den Unsicherheiten der menschlichen Natur zählen muss“.
Es ist überhaupt eine merkwürdige Schädigung seiner selbst, wenn ein Bildner und Führer freiwillig darauf verzichtet, die psychischen Triebfedern anzuregen und zu verwerthen, welche weit mächtiger und zuverlässiger sind, als der auf Brechung des Willens basirte mechanische Gehorsam, um sich nur dieses, unter gewissen Verhältnissen ganz unzulänglichen Mittels zu bedienen. Man handelt damit ebenso thöricht, als wenn man aus freien Stücken auf die Sprache verzichten würde, um seine Gedanken und Empfindungen Hindurch Winke und Thätlichkeiten zu vermitteln. Selbst das Thier — und es nützt dieses der Bauer an seinem Ackergaule oder seinem Ochsen — lässt sich durch Anruf bequemer leiten, als wie durch Zügel und Peitsche. Der Mensch aber, das „Ebenbild Gottes“, sollte nur durch eine dieses edle Wesen entdimensionirendeDressur zu leiten sein? Anseinen denkenden Geist, an sein fühlendes Herz soll gar nicht appellirt werden? Wäre der Glaube an diese Factoren ein W a h n g 1 a u b e ?
Die Disciplin bis zur vollkommenen Brechung des Willens ist keine Disciplin, denn Disciplin ist die bewusste Unterordnung des Willens. Wille muss aber vorhanden sein. Ja, die Förderung der Willenskraft machen unsere Vorschriften bei Heranbildung des jungen Soldaten zur Pflicht. Nicht eine willenlose Maschine, die daun stille steht, wenn der in der Form des commandirenden Officiers applicirte Motor nicht mehr auf sie einwirkt; ein blos disciplinirter Apparat, der dort, wo besondere Aufopferung oder unbewachte Pflichterfüllung nöthig ist, versagt; nein! ein mit kräftigem Willen, durch Pflege von Geist und Gemiith verlässlich und aufopferungsfähig gemachter Mensch und Mann muss der Soldat sein.
Man weist von gewisser Seite immer und immer wieder darauf hin, dass im Gefechte bei Rudersdorf eine preussische Garde-Compagnie, welche ihre Haltung verloren hatte, durch die von ihrem Chef commandirte Richtung nach einem Flügel wieder in volle Ordnung gebracht wurde. Wie viele hundert, ja tausend Fälle müsste man aber anführen, wollte man aller Gelegenheiten gedenken, in welche einige feurige, von der That begleiteten Worte des Cornman-danten eine schon versagende Truppe zur höchsten Hingebung begeisterten.
Die Stämme insbesondere, welche unsere Monarchie vereinigt — alle gemüthreich, empfänglich, lenksam, oder aber stolz, mannhaft und leicht mitzureissen — geben treue und tüchtige Soldaten, wenn man sie bei ihren guten Eigenschaften fasst.
Nie hätte zur Zeit, als erstarrter Formalismus bei Jena zusammenbrach, Oesterreich ein Aspern erlebt, niemals seine sprichwörtliche Zähigkeit dem Sieger entgegengestellt; hätte nicht ein grösser Mann Geist und Mens che nt hum in das Heer gehaucht, wäre nicht an die Tugenden von Oesterreichs Völkern appellirt worden. Aus einer bis zur Willenlosigkeit gebrochenen Masse wäre Maria Theresia zur Zeit der Bedrängniss niemals ein: „Moriamur pro regenostro!“ entgegengetönt; oder es hätte Niemand eingestimmt — nicht mit dem Munde und nicht mit der Faust — wenn es Einer zu rufen versucht hätte.
Uebertreibungen und ihre Gefahren.
Während der Wille unseres Allerhöchsten Kriegsherrn, somit unser oberstes Gesetz lautet: „Bei jeder Belehrung und Uebung muss der praktische Kriegszweck allein massgebend sein und diesen muss jeder zur Ausbildung Berufene stets im Auge behalten“, repräsentirt die blos auf Strammheit und Formalismus abzielende Drillung eine endlose Reihe von argen Verstössen gegen das Reglement und von Uebungen, welche nicht nur keinen praktischen Kriegszweck verfolgen, sondern der kriegsmässigen Ausbildung sogar hinderlich sind.
Sagt auch das Reglement: „Die Stellung des Soldaten muss gerade und ungezwungen sein“; sehen wir die Freunde der Uebertreibung den Mann in eine unnatürliche, fast lächerliche Pose bringen, welche ihn vom Scheitel bis zur Zehe in krampfhafte Spannung versetzt. Darf auf das Commando „Ruht!“ jeder Soldat „eine bequemere Haltung“ annehmen, so machen daraus gewisse „Bildner“ einen sonoren Tritt, welcher Gegenstand fortgesetzter Drillung bleibt, bis es schliesslich gelingt, ein „strammes Ruht“ zu erzielen. Fordert auch das Reglement: „Jede Bewegung des Soldaten muss mit freier ungezwungener Haltung des Körpers ausgeführt werden“ und es sei vornehmlich „auf das entschlossene freie Ausschreiten zu sehen“, verlangt man dennoch einen starren, die physischen Kräfte nutzlos verbrauchenden, im Terrain gar nicht anwendbaren Gang, wobei die hocherhobenen und „stechend“ vorgestossenen Füsse unter dröhnendem Schlage auf den Boden gesetzt werden. „Das Gewehr muss geschont werden. Schläge auf das Gewehr, absichtlich angewendet, um die Griffe hörbar zu machen, dürfen nicht Vorkommen“ — so das Reglement; nichtsdestoweniger fordert man „schneidige“ und „klappende“ Gewehrgriffe, wobei das Gewehr so misshandolt wird, als möchte der Mann seiner treuen Waffe unsäglich zürnen. Dass der Eifer der Ausführenden noch weiter geht und z. B. der Marsch-Tact mit einem Schlage der Hand auf die Patrontasche markirt, oder für die Resonnanz der Gewehrgriffe durch Lockerung der Ringe und anderer Schrauben gesorgt wird und dergleichen, darf nicht Wunder nehmen.
Und nun erst alle mit einem Hüpfer verbundenen Wendungen, das Kriechen mit Schritt und Tritt; die Front-Märsche mehrerer in ein geöffnetes Glied formirter Bataillone, um das „geordnete Nebeneinander“ in grösseren Körpern zu schulen; die peinliche Ausrichtung der Schwarmlinien, welche sich mit souveräner Verachtung des Terrains über Alles quer hinlegen, was da liegt und steht, fliesst oder wächst; die pernieiösen Uebungen im Ausdehnen und Zusammenziehen der Schwarmlinie in sich selbst; die rein formalistische Gefechtsführung, wenn für ein verkünsteltes, starres Exerciren mit Schwarmlinien diese Bezeichnung überhaupt angeht u. s. w. — kurz insgesammt Verirrungen auf dem Wege zur gänzlichen Maschini-sirung der Menschen!
Ist aber der übertriebene Drill, die über Gebühr geforderte Strammheit blos eine zwecklose, aber unschädliche Spielerei? — Nein! dieses System hat gefährliche Consequenzen.
Dass die Ueberdrillung den Willen vernichtet, dass sie also den Menschen moralisch bricht, ist noch nicht das Schlimmste. Gefährlicher noch ist die Verdummung, welche daraus entsteht, dass niemals der Intellect, niemals das Denken des Mannes beansprucht, dieser daher des Denkens vollends entwöhnt wird. Wir sollen den angeborenen Menschenverstand, den prächtigen Mutterwitz, die scharfe Beobachtungsgabe — wenn man will — das Indianer-Talent vieler unserer Naturvölker verwerthen, läutern, schärfen; diese natürlichen Gaben systematisch verkümmern lassen — denn es verkümmert Alles, was nicht gebraucht wird — scheint mir geradezu unverantwortlich.
Wer aber doch einen zu starken Verstand hat, um ihn zu verlieren, verfällt dem allerverderblichsten Auswuchse dieses Systemes, dem Scheingehorsame, d. h. der Praxis der Falschheit. Denn nichts begünstigt diese mehr als masslose Forderungen, deren Nichterfüllung unausbleiblich ist. Bei Bodenschwierigkeiten und eintretender Ermüdung ist die Reaction der menschlichen Natur, der Umschlag von der Strammheit in die Auflösung ein umso grellerer, je überspannter die Forderungen waren, daher entweder das Ansehen des Vorgesetzten in die Brüche geht, oder aber dieser getäuscht wird. In richtiger Erwägung dieses psychologischen Momentes sagt unser Reglement, es sei immer so viel zu fordern, „als das Terrain gestattet und bei der Verwendung im Kriege verlangt werden kann“; und ist in Preussen die Paradeleistung von der kriegs-mässigen reglementarisch geschieden.
Doch damit ist es nicht aus. Es ist der Fluch der bösen Tliat, dass sie fortzeugend Böses muss gebären.
Auf dem Wege der Brechung und des rein mechanischen Drilles ist es nämlich — von der brutalen Anspannung des Mannes und der Mühe des untergeordneten Instructors abgesehen — für den Com-mandanten ausserordentlich leicht und bequem, in kurzer Zeit scheinbar aussergewöhnliche Resultate zu erzielen, und durch die marionettenhafte, bestechende Strammheit, welche er seiner Truppe eingedrillt hat, einen durchgreifenden Einfluss auf deren Ausbildung und Verfassung darzuthun, oder richtiger glauben zu machen. Dazu ist kein Denkvermögen, kein militärisches Wissen, keine Gabe der Belehrung, keine Einwirkung auf den Geist, keine eigene moralische Tüchtigkeit — kurz kein Verstand und kein Charakter nothwendig. Auf diesem Wege eine Truppe abzurichten, ist der Unfähigste fähig. Wenn aber die durch den Drill erzeugte Strammheit zum ausschliesslichen Massstabe für die Beurtheilung der Tüchtigkeit einer Truppe, daher auch ihres Commandanten werden sollte, so läge darin eine Gefahr für die Armee und für den Staat.
Unwillkürlich hat sich mir die Frage aufgedrängt: Was kann es denn eigentlich sein, was Männer auf diesen Irrweg treibt, welche doch erfahren genug sind, um zu wissen, dass der Erfolg im Kriege vorwiegend von anderen Factoren bedingt ist? Ist es Ueberzeugung oder Opportunismus oder endlich ein eigentümlicher Reflex jener in den meisten Menschen schlummernden Herrschsucht, welche sich darin gefallt, Andere — auf welche Weise immer — unter den eigenen Willen zu beugen. Die Genugthuung des Erfolges in eben dieser Richtung auf rein materiellem Wege anzustreben, liesse aber beinahe vermuthen, dass man darauf verzichten müsse, die gleiche Befriedigung auf intellectuellem und moralischem Gebiete zu suchen. Ich denke, dass vielleicht nicht ein einzelnes, sondern ein guter Theil von allen erwähnten Motiven bestimmend sei. Denn so stark kann der Wahnglaube der Betreffenden doch nicht sein, dass sie um den ihnen vorschwebenden Menschen-Automaten die verheissenden Worte: „In hoc signo vinces“ zu lesen vermeinen.
Eine merkwürdige Ironie der Thatsachen liegt aber darin, dass dieser ganze Aufwand von Strammheit die volle Disciplinirung des Mannes, seinen unbedingten Gehorsam zum Ziele hat; während man selbst durch die hiezu angewendeten Mittel sich des schreiendsten Ungehorsames gegen die Allerhöchsten Vorschriften schuldig macht. Man beherzige die Belehrung des Reglements auf Seite IX der Einleitung, die da lautet, dass die Anerziehung einer strengen Disciplin „am besten durch das Beispiel geschieht, welches der Vorgesetzte im unbedingten Gehorsam gibt.
Der maschinisirende Drill hat aber auch seinen Widerhall in der Militär-Literatur gefunden, und gerade diese Form, in welcher das Gift verabreicht wird, ist eine besondersgefährliche, weil es — im Gewände der Wissenschaft und an der Hand einer für unerfahrene und denkfaule Menschen vollkommen überzeugenden Sophistik — in viele Köpfe Eingang findet und sie verdreht, oder zum mindesten verwirrt.
Mit einer bei Verächtern der Begeisterung fast überraschenden Wärme, umtanzen diese Schriftsteller das goldene Kalb der Strammheit und opfern ihm buchstäblich ihr Bestes.
„Man wird die Tüchtigkeit für das heutige Gefecht“ — so heisst es in einem Buche — „aus dem Capital nehmen müssen, welches wir durch ein scharfes Drillen und Exerciren starrer Form, also beim geschlossenen Exerciren auf dem Exercirplatze uns gesammelt haben können......... Das ist der Schatz an concentrirter, verlässlicher Kraft und Ordnung, den die Truppe.......... für das Gefecht und für die Stunde der Gefahr vor Allem gesammelt haben kann und besitzen muss, denn nichts Anderes kann ihn ersetzen“. Ein veröffentlichter Vortrag besagt: „Das stramme Exerciren der geschlossenen Ordnung und der Gewehrgriffe ist ein Corrections-Mittel, ohne welches moderne Armeen nicht bestehen können.......... Alle diese Erwägungen führen darauf, dass es dringend ist, den Formalismus zu kräftigen.........
Eine andere sonst treffliche Publication gibt einer Apotheose des Exercirplatzes mit folgendem Wortlaute Kaum: „Es muss daher im Frieden gut, viel, ja unaufhörlich gedrillt werden. Der Exercir-platz, diese herrliche Schule des unbedingten Gehorsams, dieses Gymnasium der körperlichen und geistigen Disciplin kann gar nicht genug ausgenützt werden.“
Wohin soll es aber kommen, wenn der junge Officier als Vorbereitung auf den nächsten Krieg solche Anleitungen erhält; wenn er gleichzeitig hört, dass es besser sei, die Wintertage mit derlei Uebungen als mit Mannschaftsschulen auszufüllen? Wer den Exercirplatz allein so hoch stellt, der weiss allerdings die Schule weniger zu würdigen. Könnten sich solche Anschauungen in die Armee einschleichen, so hätten wir gerade „nichts gelernt und nichts vergessen“.
Die theoretische Strammheitslehre greift auch höher; sie etablirt die Normal-Gefechts-Formationen auch für grössere Infanterie-Körper, die verblödende Schablone — das Refugium der Dispositions-Unfähigkeit — und will Brigaden und Divisionen genau so exerciren wie der Corporal sein Glied.
Solchen Lehren gegenüber muss den denkenden Officier, den denkenden Patrioten wahre Wehmuth ob der in ernsten Zeiten vorkommenden Verirrung erfassen; er könnte beinahe besorgen, dass — wir zu lange Frieden hatten.
Vernünftige Forderungen.
Volle Beruhigung gewährt aber wieder die erfreuliche That-sache, dass dieses von so schlimmen Folgen begleitete Drill-System in der Armee doch nicht recht Fuss fassen kann, denn Einsicht und praktischer Sinn haben von selbst dagegen Front gemacht. Bis auf einzelne, hoffentlich bald behobene Ausnahmen, werden überall — allerdings bald mit Bevorzugung dieser, bald jener Details — klaren weitsehenden Blickes die wahren Kriegszwecke bei der Ausbildung im Auge behalten.
In der That wird es ja keinem vernünftigen Menschen einfallen, die Wichtigkeit der genauesten Handhabung des inneren Dienstes mit allem damit verbundenen, nothwendige 11 Formalismus zu unterschätzen. Niemand wird die disciplinäre Bedeutung der Leistung und Erwiderung der Ehrenbezeugung verkennen, darin aber wohl nicht den Zweck suchen, dem Manne „sehen“ zu lernen, sondern nur den, seinen Respect vor dem Höheren, beziehungsweise durch den Gegengruss sein Selbstgefühl zu festigen. Auch der abgesagteste Feind des Drilles wird damit einverstanden sein, dass man mit rücksichtsloser Strenge das Anschliessen innerhalb der Colonnen fordert und übt. Auch der Perhorrescent des Formen-Cultus wird der scharfen Uebung geschlossener Formen, allerdings auch im Terrain und nicht nur auf dem Exercirplatze, das Wort reden; wenn gleich nicht als disciplinäres Mittel, wohl aber als nöthige Schule für das rasche, geschlossene und geordnete Heranbringen der Trappe in voller Kampfbereitschaft. Jedermann wird mit allem gebotenen Nachdrucke eine correcte und rationelle Führung seitens der Officiere; ihre Emancipation von der befehligten Abtheilung; den schnellen Uebergang in die Gefechtsform und umgekeht; präcisen Gebrauch des Gewehres, bis zur höchst denkbaren mechanischen Fertigkeit geübte Lade- und Feuergriffe, strenge Feuer-Disciplin, die prompte Abgabe des Feuers, runde Salven, wirklich schnelles Schnellfeuer verlangen. Ist auch die Schablone an Stelle der Disposition das Aergste, wovon ein denkender Soldat hören kann, so wird es doch Niemand leugnen, dass die Plänkler zunächst die Gruppirung der Schwarmlinie formell erfassen, und erst dann deren Application auf das Terrain erlernen müssen. Man wird aber den Appell, die Aufmerksamkeit, das „in der Hand sein“ nicht durch den Drill geschlossener Formen allein zu schärfen hoffen, sondern wird hiezu vorwiegend die Gefechtsform benützen, wo die persönliche Einwirkung abnimmt, die Fäden länger werden und es daher um so lohnender sein wird, durch überraschende Prüfung auf die Geistesgegenwart und die Lenksamkeit einzelner Individuen und Abtheilungen hinzuwirken. Denn, was will man am Ende in den geschlossenen Formen viel discipliniren ? Ein Mann, der auf das Commando „Reihen rechts um!“ absichtlich links um macht, müsste nur verrückt sein.
Dabei gelingt es auch praktisch den Beweis zu erbringen, dass einer Truppe, ohne vorschriftswidrige Uebertreibungen bei rationeller Erziehung und Ausbildung, noch s o viel an Strammheit und Formen inne sein kann, als es der tactische Zweck und endlich sogar das Decorum erheischt. Eine Truppe soll ja auch schön sein, und sie kann es sein unbeschadet ihrer Tüchtigkeit, vielmehr dank derselben. Nur darf man nicht hässliche Carricaturen für schön halten; Starrheit und Schwerfälligkeit der Sicherheit und Gewandtheit vorziehen; viele und verkünstelte Formen von nur zeitweiliger Anwendbarkeit lieber sehen, als wenige und einfache Formen, welche dafür immer und überall eingehalten werden.
Wie es die Eigenthümlichkeit unseres Metiers mit sich bringt, wird man bei allem Wohlwollen und aller Achtung der Menschen- würde, doch ohne missverstandene Philantropie, ohne unzeitige Schonung, strenge fordernd, und vor Allem mit unentwegter Consequenz zu Werke gehen.
Dieses Alles, sowie jede vernünftige Forderung der Ausbildung lässt sich aber motiviren, dem Manne begreiflich machen, daher nicht nur als ein Imperativ der Disciplin, sondern als ein Postulat der Vernunft hinstellen.
Mit aller Entschiedenheit verwahre ich mich dagegen, als sollte damit die Notwendigkeit des unbedingten Gehorsames irgendwie angezweifelt werden; im Gegentheile, ich will nur die Festigung des Gehorsams, aber auf ethischer Basis. Man wende nicht ein, dass man den Untergebenen nicht „bitten“, oder dass man ihm nicht bei jedem Befehle das „Warum“ sagen könne; dieses ist ja selbstverständlich. Man verschliesse sich aber nicht der Erkenntniss, dass, wenn der Untergebene in der Schule und durch die Erfahrung begriffen hat, dass alles Befohlene der Notwendigkeit entspringt, diese anerzogene Ueber-zeugung ihn auch im Dienste und auf dem Gefechtsfelde nicht verlassen, und zum unbedingten Gehorsame bestimmen wird, wiewohl er die Ursache eines Befehles weder erfahren, noch selbst erkennen kann.
Es erwächst weiter die Frage: Muss man etwas Anderes üben, als man auszuführen hat oder nicht?
Die Strammheits-Philosophen behaupten nun, dass durch die Drillung von Formen, welche mit denjenigen nichts gemein haben, deren sich die Truppe für die Erreichung ihrer Kriegszwecke bedient, der diseiplinäre Zweck am sichersten erreicht werde; „denn gerade die Unzweckmässigkeit solcher Formen vernichte jeden Rest von Widerspänstikeit, durch das Unterdrücken der besseren Ueberzeugung“. Dieses heisst mit anderen Worten: man muss durch Zerstörung des Denkens den Mann gefügig machen; als ob vernünftige Forderungen die Vernunft desjenigen, an den sie heran treten, je zu scheuen hätten. Die Paralysirung der Urtheils-kraft ist ja die ganz ausdrücklich verfolgte Tendenz dieses Drilles.
Ein so unverblümtes, ich möchte sagen, so nacktes Eingeständ-niss der Zwecke des Drilles, wie es sich in der Schrift „Die Methode bei der Disciplinirung der Truppe“ findet, ist für das Jahrhundert geradezu beschämend.
Allerdings lässt sich jede Fertigkeit, jede Geschicklichkeit, jede Leistung durch Vorübungen vor bereiten. Man lernt schreiben, indem man zuerst Haar- und Schattenstriche — Theile der Buchstaben — machen lernt; aber man hobelt nicht, um die Hand für das Schreiben zu discipliniren. Man lernt schiessen, indem man voraus den Anschlag, das Zielen und Abdrücken übt; der heranzubildende Schütze würde aber wenig profitiren, wenn er als Vorbereitung für den Schiessunterricht etwa das Schlittschuhlaufen lernen müsste, u. s. w., u. s. w. Kurz die Vorübungen müssen Th eile der Ge-sammtleistung sein, welche den Unterrichtsgegenstand bildet, nicht aber etwas ganz Entgegengesetztes. Der gewöhnliche Menschenverstand nennt die auf solche Spässe verwendete Zeit eine verlorene, und sie ist es auch.
Bei Licht besehen, ist ja die ganze Geschichte eine Selbsttäuschung, ein eigenthümlicher Nervenreiz, hervorgebracht durch das Klipp-Klapp einer wohldressirten Abtheilung, — ein Nervenreiz, wodurch dafür sensitive Naturen den Eindruck der Ordnung, der Gefügigkeit, der Disciplin, der Kriegstüchtigkeit empfinden. Man muss eben auch dafür ein Medium sein, denn sonst hat man nur den Eindruck einer abgeschmackten Spielerei.
Uebrigens höre man hierüber eine preussische Stimme, den schon an früherer Stelle citirten Autor: „Der muthigste Soldat an sich ist der, welcher noch nie im Feuer war. In ihm kann die Gewohnheit des Exercirlebens so stark werden, dass er sich eine Zeil/lang im Gefechte, wie auf dem Manöverfelde bewegt. Nur eine Spanne, so lange nämlich, wie er die Gefahr nicht kennt, in welche er gebracht worden ist......... Das sind die entscheidenden Augenblicke. Ihnen widerstehen wenige mächtige Geister, die die Thatkraft haben, den geschwundenen Muth der Truppe durch sich neu zu beleben und sie wieder mit sich fortzu-reissen.“
Das heisst mit anderen Worten: Der Zauber, in dem der Drill die Menschen gefangen halten soll, löst sich in der Gefahr, und nur die moralische Potenz ist ihr gewachsen.
Moralische Hebel.
Mit dem Wissen und Können des Soldaten hat man sich vielfältig, aber auch fast ausschliesslich beschäftigt, als ob sich das Wollen von selbst verstünde. Das Wollen ist aber die Hauptsache und bedarf der Pflege, damit nicht nur der negative Wille unterdrückt, sondern der positive gestärkt werde. Nur dann wird der „kühnste“ Entschluss, den unser Reglement als den „besten“ bezeichnet, auch wirklich gefasst werden. Nicht umsonst bezeichnet dieselbe Vorschrift als erste Bedingung der Recruten-Ausbildung die „Begründung der moralischen Erziehung“.
Und wenn es auch wahr ist, dass der Kraftäusserung unserer Armee nicht so ausgesprochene Impulse zur Grundlage dienen, als der Glaubens-Fanatismus der Türken; die traditionelle Gravitation Russlands gegen Constantinopel; das Revanche-Bedürfhiss des französischen Nationalstolzes u. s. w. verleihen; — umsomehr Grund für uns in der Pflege des dynastischen Gefühles, iu der Festigung der Bande zwischen Führer und Truppe, in der Veredelung und Stärkung der Charaktere, in der Weckung des Opfermut lies um der Person willen, jene Triebfedern zu suchen, welche allein Selbstverleugnung und Verlässlichkeit einer Truppe bedingen.
Ein hochgestellter General sagte mir einmal, dass er als Commandant eines ungarischen Regimentes im italienischen Feldzuge, auf eine Frage, ob er sich auf seine Leute verlassen könne, erwidern durfte, dass seine Leute sicherlich ihrem Obersten zuliebe ihre Schuldigkeit thun werden. Und so kam es. Die Liebe einer Truppe für ihren Commandanten kann Grosses hervorbringen, ist sie einmal, über das Maass der Sympathie hinaus sich erhebend, zur unbedingten vertrauensvollen, opferfreudigen Hingebung angewachsen. Solche Liebe zu erwecken, ist allerdings nicht Jedem gegeben, denn guter Wille oder Studium genügt nicht; Popularitäts-Hasch er ei führt nie zum Ziele. Man muss eben für den Untergebenen Herz haben, dann wird man auch das seine besitzen. Es nützt aber nichts, Herz nur zu zeigen. „Doch werdet Ihr nie Herz zu Herzen schäften, wenn es Euch nicht vom Herzen geht.“ Herzlose Menschen sind schliesslich verlassen worden, gleichwie jene Schlauköpfe, welche Herz geheuchelt haben. Man hat sie im Stiche gelassen, als man die Comödie gewahr wurde und hat sie nur umsomehr gehasst, weil man sich von ihnen betrogen fand. Dafür hat der einfache Mann ein weit schärferes, weil instinctives Unterscheidungs-Vermögen, als man anzunehmen geneigt ist.
Wer diesen Anschauungen unpraktischen Idealismus vorwirft, wendet ein, dass es wohl schlimm wäre, wenn ein Regiment nur dem Obersten A und nicht auch dem Obersten B folgen würde. Gewiss wäre es schlimm; alle anderen moralischen Triebfedern, weicheich doch nicht unerwähnt liess, verbürgen indessen die Pflichterfüllung eines Truppenkörpers unter jedem Commandanten. Was aber über Pflichterfüllung hinausgeht, bleibt unleugbar der Macht der Persönlichkeit überantwortet. Mit vollem Rechte sagt Rüstow: „Der Einfluss des Commandanten ist kein Zufall. Wer davon bei seinen Untergebenen mehr erlangen konnte, als es dem Gegner bei den «einigen gelang, der wird immer die Ueberlegenheit haben.“ Ein österreichischer Schriftsteller, der die Gewohnheit der Disciplin in der Einhaltung gewisser Formen als einziges Hilfsmittel bezeichnet, behauptet wörtlich: „Es ist eine Mythe geworden bei dem raschen Wechsel des Menschen-Materiales, dass cs sogenannte beliebte Vorgesetzte im guten Sinne gäbe, um die sich die Abtheilung im Kampfe aufopfernd schaart.“ Nun, es ist dies für Denjenigen, der die Truppe aus dem Contacte kennt und selbst für sie ein Herz hat, Gott sei Dank, keine Mythe. Liebe fasst man schnell, Gewohnheit ist das Resultat der Zeit. Ist für eines von Beiden der rasche Wechsel des Menschen-Materiales gefährlich, so scheint mir wohl die Gewohnheit schlechter fahren zu müssen. Schon die Einreihung der einrückenden Reservisten, die Concentrirungs-Märsche, das erste, noch so unerhebliche Gefecht werden genügen, einen Commandanten beliebt oder unbeliebt zu machen; bedarf es ja nur eines einzigen Augenblickes in der Stunde der Gefahr, um einem tüchtigen Manne die Herzen seiner Untergebenen zu gewinnen.
Eine der wesentlichsten Vorbedingungen und zugleich Handhaben für die moralische Hebung des Soldaten ist das Verhält-niss, in welches sich der Officier zu ihm stellt.
Dieses Verhältniss ist in den einzelnen Armeen ein traditionelles. Auf theilweise noch patriarchalische Zustände und die sociale Stellung des Subaltern-Officiers basirt, ist es in Russland ein weit unmittelbareres, innigeres, als anderswo, ja mitunter ein zu vertrauliches. Es ist bekannt, dass in Preussen der Officier, der sich als Repräsentant des ersten Standes im Staate viel in der Gesellschaft bewegt und bei der Abtheilung durch ganz eminente Unterofficiere vertreten ist, weit weniger mit dom Manne in Contact steht, zwischen beiden Theilen sich fast nur dienstliche Beziehungen herausbilden; bei uns* ist dieses Verhältniss in den Waffengattungen verschieden, je nachdem der Officier mehr oder weniger auf das Zusammenleben mit dem Manne angewiesen ist.
Im Allgemeinen sei bemerkt, dass dasselbe mit Bezug auf die Eigenart der meisten unserer Nationalitäten bei der Infanterie mit Vortheil ein engeres sein könnte.
Man muss nämlich in dem Soldaten vom Reeruten an den Menschen sehen, dem Menschen in ihm sich nähern. Der Officier kehre nicht immer nur die dienstliche Stellung hervor; ohne sich einer ungeziemenden Vertraulichkeit schuldig zu machen, wird ihm die tägliche Berührung mit dem Manne Gelegenheit bieten, bei voller Wahrung seines Ansehens, an Stelle des Vorgesetzten den teilnehmenden, mitfühlenden Menschen zu zeigen, indem er sich wohlwollend seiner annimmt und namentlich für seine materielle Existenz nach Thunlichkeit sorgt.
Dank einem Nähertreten von Officier und Soldat wird es dem Ersteren nicht schwer fallen, in einer der Individualität des Mannes entsprechenden Weise, ohne Aufwand von leeren Phrasen, in ihm Liebe zum Monarchen und zum Vaterlande, Stolz auf den Beruf, Ehrgeiz und Selbstgefühl, überzeugten Gehorsam und militärischen Geist, Gemeinsinn, Anhänglichkeit für das eigene Regiment gross zu ziehen. Nichts bleibe unversucht, was veredelnd und anregend auf das Gemüth des Soldaten einwirken kann. Dabei wisse man in unwesentlichen Dingen durch die Finger zu sehen; nehme es nicht zu tragisch, wenn sich der Regiments-Geist beim Manne sogar in einer Geringschätzung anderer Truppen äussert; gönne ihm zur rechten Zeit jede zulässige Unterhaltung; dulde, ja benütze seinen guten Humor; — und vor allem Anderen hüte man sich fortwährend nur zu tadeln, lobe vielmehr, wo man nur halbwegs loben kann. Die Anerkennung ist ein wirksameres Mittel als der Tadel; sie ist die unerlässliche Vorbedingung des Selbstgefühles, der Anhänglichkeit, der freudigen Arbeit. Beständiger Tadel erzeugt durch seinen abstumpfenden Effect das nachhaltigste Uebel — die Apathie.
Der Officier bedarf aller vom Manne geforderten moralischen Eigenschaften im erhöhten Maasse. Es gilt militärische Charaktere zu erziehen, selbständige, freudig thätige, im guten Sinne selbstbewusste Männer. Sehen Viele die Vorbereitung für den nächsten Krieg in der Maschinisirung der Menschen, so sucht sie der Einsichtige in der Pflege ihrer Individualität und ihrer Initiative. Denn je rascher der Verlauf des Gefechtes, umso gebotener , die Gelegenheit auszunützen, ohne auf Befehle zu warten. Je mörderischer das Feuer, desto fraglicher die Möglichkeit der Befehlsgebung, desto häufiger auch der Verlust an Commandanten deren Truppe deswegen im entscheidenden Momente auch ohne Reconstruction der Commanden doch nicht stocken darf; je grösser die Frictionen werden, umsomehr muss an Stelle einer Armee-Maschine ein lebendiger Organismus gebracht werden, dessen Theile im Sinne des allgemeinen Willens selbständig thätig sind.
Um so nöthiger erscheint es aber, dass statt eines fallweisen Gängelns der untergebenen Officiere, der höhere Commandant diese intellectuell leite und nach seinem Sinne forme, damit er sich darauf beschränken könne, nur das unbedingt Nothwendige zu befehlen und das Weitere der Selbstthätigkeit seiner Unterführer überlassen dürfe; sicher, dass, wenn auch nicht nach seinem Befehle, so doch gewiss in seiner Intention gehandelt wird. Dieses bedingt nun wieder eine intensivere Berührung zwischen den höheren und den niederen Officieren, denn nur bei persönlichem Verkehre ist die Uebertragung der eigenen Ideen, das Bekanntmachen mit den eigenen Anschauungen denkbar. Einzelne Oberste und Generale treten fast ganz aus dem Contacte mit den Officieren; vielfältig ist diese Absonderung das Resultat der unbegründeten Besorgniss, dass durch Heranrücken des Untergebenen das Ansehen des Vorgesetzten Schaden leiden könnte. Wer fest im Sattel ist als Mensch und Glied der militärischen Hierarchie, fühlt nicht das Bedürfniss, sein „Ich“ mit Annäherungs-Hindernissen zu umgeben, die eine nur in der Charge und nicht auch in der Person liegende Autorität schliesslich doch nicht vor der Skepsis der Untergebenen schützen werden. Als Oberst, als General muss man den Muth haben, ausser Dienst Kamerad zu sein.
Wenn aber früher von der erhöhten Forderung nach selbständigen und selbstthätigen Officieren gesprochen wurde, erwächst die Frage, ob man denn Selbständigkeit nicht schon hätte, wenn man sie nur duldete? — Nein! Man muss sie leider fordern, denn nur zu gerne finden sich geistig träge oder willenlos gemachte Untergebene in das sie einer jeden Verantwortung enthebende Faulbett der Bevormundung, und die dadurch erzeugte Lethargie wirkt lange, sehr lange auch nach aufgehobenem Drucke nach. Man lasse im Sinne der Vorschrift einem Jeden die ihm zukommende Wirkungssphäre und vertraue der verantwortlichen Selbstthätigkeit des Untergebenen; dabei überzeuge man sich durch strenge Prüfung, ob er auch das Gebotene leistet; man unterscheide den strafbaren Dünkel eines Aufgeblasenen von dem berechtigten, daher zu achtenden Selbstgefühle eines tüchtigen Mannes.
Man verbessere nicht Alles, was der Untergebene macht; gehe über manche Unrichtigkeit der Durchführung, ja sogar des Entschlusses hinweg, um Entschlusskraft und Selbstvertrauen nicht anzukränkeln. Man lasse sich nie durch Laune oder Leidenschaft bestimmen und zermalme nicht anderweitige Meinung. Man belohne nicht die Augendienerei, mit welcher sich der Eine einzuschmeicheln versucht, und knicke nicht den festen Charakter, der im Bewusstsein seines Werthes sich nicht um die Gunst bewirbt, ja vielleicht auch unbequem wird. Auf solche Weise wird man militärische Charaktere erziehen. Anders könnten nur Sclaven gezüchtet werden, die, in der Alternative zwischen Sein und Nichtsein, das Sein mit ihrem Charakter erkaufen, anfangs vielleicht unwillig, nach und nach aber mit ihrer moralischen Entmannung ausgesöhnt.
Dem Officier muss der Schwung einer idealen Auffassung seines Berufes eigen sein. Er wird darin einen Rückhalt gegen den Ansturm des Materialismus, den stärksten Antrieb für die Erfüllung der harten Pflichten seines Berufes finden.
Der Officier wisse, dass, wenn er, ein lebendiger Wall, feststeht gegen die Brandung der desorganisirenden Neigungen unserer Zeit, diese Sich an seiner Gesinnungstüchtigkeit brechen müssen. Er schöpfe Selbstbewusstsein aus dem Vorrathe redlichen Verdienstes, den er sich zurücklegt, indem er Jahr um Jahr jenen in die Reihen des Heeres tretenden 100.000 Menschen höhere Gesittung, Sinn für Ordnung und Gerechtigkeit, Wissen und Charakter anerzieht, diese Segnungen der Cultur, welche sie, ein fruchtbringendes Angebinde, in ihre entlegene Heimat mit nach Hause tragen; der Officier erfüllt da eine Friedens-Mission nicht weniger erhaben, als seine blutige Aufgabe im Kriege. Unser Officiers-Corps sei endlich davon durchdrungen, dass in einer Zeit, in welcher sich bekämpfende Sonderbestrebungen die Monarchie durchwühlen, der Officier berufen ist, das einigende Band immer fester zu schmieden, in die vielen Tausende der Sendlinge aus allen Gebieten des weiten Reiches den Sinn für die Zusammengehörigkeit des Gesammtvaterlandes einzuprägen, das gemeinsame Banner hochzuhalten mitten im Gezänke der Parteien, eingedenk des stolzen Dichterwortes: „In deinem Lager ist Oesterreich“.
In voller Auffassung seines Amtes fühle sich der Officier; er erhebe sich über das gewöhnliche Maass moralischer Kraft, um im engeren Sinne des Wortes die Seele der Truppe zu sein und sie zum Siege zu führen. Der Soldat aber, soll nicht der Ruf, ja selbst das Beispiel des Officiers wirkungslos bleiben, muss empfänglich und anhänglich sein.
„Schwärmerei!“ höre ich wieder die Gegner dieser Anschauungen mit frostigem Hohnlächeln sagen. Nun, es möge nie der Misserfolg sie darüber belehren, dass eine nur gedrillte, aber nicht erzogene Truppe sie im Stiche lässt; mögen sie nie in bitterer Stunde fühlen müssen, welcher Unterschied darin liegt, ob man die Liebe einer Truppe — diese angebliche Mythe — besessen hatte oder nicht!
Und nun genug!
Angesichts der Möglichkeit, dass eine nicht zu ferne Zukunft der Monarchie noch grosse folgenschwere Kämpfe aufnöthigen könnte, muss und wird der ererbte Patriotismus der k. k. Armee jedem Angehörigen derselben, welcher Sphäre immer, zwingend gebieten, die volle Ueberzeugungstreue zur ausschliesslichen Richtschnur seines Handelns zu machen und jenen Weg zu gehen, auf welchem er die sichersten Bürgschaften des Erfolges sucht.
Der rechte Weg kann nur einer sein, denn die Wahrheit ist nicht vielfach. Schwer jedoch ist es, sie zu finden und zu erkennen; daher verschiedene Ansichten, verschiedener Glaube.
Aufgerichtet durch den Gedanken an die vielen zielbewussten und edlen Vorgesetzten, deren weises und heilverheissendes Wirken mir meine Ueberzeugung schuf; an die vielen herrlichen Truppen unserer Armee, welche auch ohne Drill in den schwersten Tagen strenge Mannszucht hielten, deren Geist und moralischer Werth sie zum höchsten Opfermuthe befähigte, will ich mir den Glauben an Menschen, den Glauben an meine Ideale, den Glauben an den Weg, der uns ihnen nähert, ungeschmälert bewahren.
Das Bekenntniss dieses Glaubens liegt in der Beantwortung der Titelfrage: Man drille nicht, man erziehe!